Sonja Laag im Interview, Teil 3

Healthcare Change-Pioniere – Im Interview mit Janine Müller-Dodt erläutert Sonja Laag, wie eine "Architektur"-Kommission dabei unterstützen kann, die Transformation vom bestehenden Bismarck-System hin zu einer Care Share-13-Daseinsvorsorge zu gestalten.

© Sonja Laag

Sonja Laag, Vordenkerin und Expertin im Think-Tank IPAG, dem Institut für Pflege, Altern und Gesundheit e. V., erläuterte im ersten Teil des Interviews das Care Share 13-Systemdesign und weshalb die interprofessionelle Gesundheitsversorgung im bestehenden Bismarck-System nicht gelingen kann. Sie stellte heraus, dass die Transformation hin zu einer menschzentrierten Gesundheitsversorgung gemäß dem Care Share 13-Systemdesign mit einem tiefgreifenden Umbau der Akteurslandschaft – einschließlich der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung (GKV, PKV) – verbunden ist.

Im zweiten Teil des Interviews erklärte sie, warum die Transformation der Krankenkassen für eine am Gemeinwohl orientierte Daseinsvorsorge wichtig ist. Sie zeigte auch auf, wie die „alten Kassen“ im neuen Care Share 13-System beteiligt werden.

In diesem dritten Teil des Interviews mit mir konkretisiert Sonja Laag, wie eine „Architektur“-Kommission dabei unterstützen kann, die Transformation hin zu einer Care Share 13-Daseinsvorsorge zu starten und voranzubringen. Sie erfahren, welche Relevanz dabei die Ansätze „Sandbox“ und „Cathedral Thinking“ haben und wie damit ein gutes Fundament für eine menschzentrierte Daseinsvorsorge geschaffen werden kann, sodass alle Leistungserbringenden – unabhängig von ihrer Profession – auf Augenhöhe miteinander zusammenarbeiten.

Frau Laag, wie kann die Transformation hin zu dem Care Share 13-Gesundheitssystem gelingen?

Sonja Laag: Dafür ist in erster Linie eine agile, großflächig angelegte, partizipative und wissenschaftlich begleitet arbeitende Architektur-Kommission erforderlich, die langfristig unabhängig von Parteien und Wahlperioden arbeitet.

Diese Architekturkommission ist verantwortlich dafür, die Rückmeldungen zum Gesundheitssystem zu bündeln und den roten Faden der Transformation von dem bestehenden Bismarck-System hin zu einem Care Share-Systemtyp zu führen. Dabei baut sie als zentrale Stelle ein kollektives Langzeit-Gedächtnis zum Gesundheitssystem auf. Durch dieses Wissen kann sie die beteiligten Menschen in Politik und Gesellschaft gut unterstützen und einen breiten gesellschaftlichen Konsens herstellen.

Darüber hinaus ist ein klares Zielbild eine wichtige Voraussetzung. Schließlich benötigen wir eine Vorstellung davon, wohin wir uns entwickeln wollen, wenn wir die Versorgung verbessern wollen – ganz ähnlich einem Navigationsgerät: Um es richtig einzustellen, muss ich wissen, wohin ich fahren möchte.

Das Kernziel von Care Share 13 ist eine neue Ebene der Versorgungssteuerung durch regionale Care Share-Verbünde, damit die Menschen vor Ort mehr Mitsprache und Gestaltungsmöglichkeiten für ihre Versorgungsstrukturen haben.

 

REGIONALE CARE SHARE-VERBÜNDE ALS NEUE VERSORGUNGSSTEUERUNGSEBENE

Healthcare Change-Pioniere – Ein zentrales übergeordnetes Ziel des Systemdesigns Care Share 13 ist der Aufbau von regionalen Care Share-Verbünden, die die Versorgung vor Ort planen, organisieren und sicherstellen.
Abbildung 1: Ein übergeordnetes Ziel ist unerlässlich, damit sich die kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen daran ausrichten können. Im Care Share 13-System ist dieses übergeordnete Ziel die Etablierung von Care Share-Verbünden als neue, regionale Steuerungsebene in der Versorgungsgestaltung. (© Sonja Laag)

 

Mehr Mitsprache bedeutet mehr Demokratie und die kann nur gelebt werden, wenn sich die Menschen einbringen können. Von diesem Ziel leiten sich alle weiteren Maßnahmen ab. Die derzeit bestehenden „Beteiligungsformen“ wie u. a. die Sozialwahlen, das klassische Widerspruchverfahren oder der mögliche Kassenwechsel im Falle von Beitragserhöhungen ermöglichen nicht, dass die Menschen mitgestalten können.

 

„In erster Linie ist eine agile, großflächig angelegte, partizipative und wissenschaftlich begleitet arbeitende Architektur-Kommission erforderlich, die langfristig unabhängig von Parteien und Wahlperioden arbeitet.“

 

Und was ist – neben der Architekturkommission – noch erforderlich, damit das bestehende Bismarck-System erfolgreich zu einem Care Share 13-Gesundheitssystem transformiert werden kann?

Die politischen Entscheider:innen sind verantwortlich dafür, das Care Share 13-Systemdesign zum Leben zu erwecken, denn sie geben schlussendlich den Purpose vor.

Insbesondere am Anfang der Transformation ist ein gemeinsamer Care Share-Wille sehr wichtig, also ein Commitment auf der Ebene von Bund, Ländern, Kommunen und Selbstverwaltung, dass für die Gestaltung der künftigen Daseinsvorsorge zwingend neue Systemstrukturen aufzubauen sind. Das erfordert auch die Offenheit und Bereitschaft dafür, die Rollen der einzelnen ärztlichen und nicht-ärztlichen Berufsgruppen in Bezug auf ihre Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung neu für die interprofessionelle Zusammenarbeit auszurichten.

Tatsächlich fehlt so etwas bislang im deutschen Gesundheitswesen. Das ist der Grund dafür, warum die meisten „Reformen“ nicht die Versorgungsstrukturen verbesserten, sondern lediglich innerhalb der bestehenden Strukturen in Teilbereichen tradierte Prozesse und Gepflogenheiten nachjustierten. Um bildlich zu sprechen: Mit den „Reformen“ wurde lediglich an der Baumkrone gearbeitet, nicht jedoch am Wurzelwerk.

Ist das Commitment gegeben, kann eine Geschäftsstelle etabliert werden, die das „Care Share Management“ organisiert. Ein „Anker“ dafür könnte im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) beispielsweise eine Weiterentwicklung des derzeitigen Sachverständigenrats sein. In den Landesministerien und auf kommunaler Ebene können entsprechende Pendants geschaffen werden. So entstehen die Wege unmittelbar beim Gehen. Schließlich fangen wir nach nunmehr vierzig Jahren Reformprojektitis nicht bei null an. Was bisher fehlt, ist der politische Wille, den ordnungspolitischen Rahmen wirklich zu ändern.

 

„Wichtig ist ein Commitment auf der Ebene von Bund, Ländern, Kommunen und Selbstverwaltung, dass für die Gestaltung der künftigen Daseinsvorsorge zwingend neue Systemstrukturen aufzubauen sind.“

 

Wie können wir uns die Arbeit der Architekturkommission genau vorstellen?

Die Architekturkommission arbeitet agil, d. h. sie ermöglicht vor allem flexible Austausch- und Erarbeitungsformate. Sie gewährleistet dabei eine durchlässige Arbeitsstruktur zwischen den Ebenen und zwischen den Versorgenden, politisch Verantwortlichen und Wissenschaftler:innen. Wie unsere Erfahrung im IPAG zeigt, ist gerade der Diskurs mit den in der Gesundheitsversorgung tätigen Menschen sehr bereichernd.

 

DIE TRANSFORMATION HIN ZUM CARE SHARE-SYSTEM DANK AGILEM ARBEITEN MEISTERN

Healthcare Change-Pioniere – Eine agil arbeitende Architekturkommission führt den roten Faden der Transformation vom Bismarck-System hin zu einem Care Share 13-Gesundheitssystem.
Abbildung 2: Die Architekturkommission fördert den Diskurs, sodass sich alle in der Gesundheitsversorgung tätigen Menschen und Institutionen einbringen können. (© Sonja Laag)

 

In der Softwareentwicklung sind agile Methoden seit über zwanzig Jahren Standard, denn damit können komplexere Anforderungen umgesetzt und schnellere Reaktionen auf Veränderungen ermöglicht werden. Eine solche agile Regulierungsentwicklung benötigen wir auch für die Zukunftsgestaltung nach dem Care Share 13-Systemdesign. Denn die Welt ist zu komplex, als dass die interprofessionelle Zusammenarbeit am Verhandlungstisch festgelegt werden könnte.

Die Arbeit der Architekturkommission wird durch ein sogenanntes „Sandboxgesetz“ unterstützt, denn dadurch entsteht ein Schutzkorridor, der das Ausprobieren, Testen und Einüben neuer Rechtsregeln ermöglicht. Diese Vorgehensweise kennen wir aus Situationen, in denen eine neue Software in ein bestehendes Computersystem installiert werden soll: Die neue Software wird zum Schutz des bestehenden Betriebssystems zunächst in einer „Schutzzone“ getestet, der sogenannten „Sandbox“. Die neue Anwendung läuft technisch auf dem Echtsystem, das aber dennoch vor unvorhergesehenen Wechselwirkungen geschützt ist.

Bei den heutigen Projekten, die v. a. über den Innovationsfonds des SGB V laufen, soll das Neue in die bestehende Regelversorgung „überführt“ werden, um diese zu optimieren. Das Problem ist jedoch die Regelversorgung selbst. Und das ist deutlich erkennbar am Transferproblem: Nach dem Ende der Projekte fließen diese viel zu selten in die Regelversorgung ein. Die Konsequenz: Die Regelversorgung ändert sich auch mit dem Innovationsfonds nicht, denn der ordnungspolitische Rahmen bleibt unangetastet. Mit dem „Sandboxgesetz“ und einem offenen, lebendigen System wird es viel besser als bislang gelingen, dass erprobte Innovationen Regelversorgung werden.

Damit die Architekturkommission in dieser Weise arbeiten kann, ist die Sandbox in Form eines rechtlichen Freiraumes mit Experimentier- und Öffnungsklauseln zu gestalten. Dieser notwendige Freiraum kann durch Reallabore geschaffen werden, die in der Wirtschaft und in der IT bereits Praxis sind. Die Reallabore können durch Verfahrensanordnungen und versorgungswissenschaftliche Rechtsbegleitung abgesichert werden, damit das Echtsystem keinen Schaden nimmt.

Die Entwicklung und das Einleben moderner Governance- und Partizipationsformen erfordern gesundheitsökonomische, versorgungsprozessbasierte und auch politik- und sozialwissenschaftliche Evaluationen. Das bedeutet, dass die Sandbox-Entwicklungsthemen „komplexe Interventionen“ sind mit vielen interagierenden Komponenten. Daher kann sich erst im Verlauf zeigen, wie sich die Komponenten zueinander verhalten, und deshalb sind flexible Reaktions- und Anpassungsmöglichkeiten nötig. Das setzt anders als bisher eine flexible und agile Förderdramaturgie voraus.

Die Leitmotive der aufzubauenden Architekturkommission sind:

  • die Orientierung auf den Menschen mit Versorgungsbedarf,
  • die schnelle Umsetzung iterativer Anpassungen und
  • die einfache und verständliche Darstellung komplexer Zusammenhänge im Sinne eines kollektiven Langzeit-Gedächtnisses.

Die regionalen Care Share-Verbünde tragen als dynamische und selbstlernende Einheiten die Verantwortung für die regionale Planung, Organisation und Sicherstellung einer bedarfsorientierten Versorgung. Dabei geht es darum, dass die Personen in der Architekturkommission und in den regionalen Care Share-Verbünden kontinuierlich lernen, ihr Vorgehen regelhaft in Form des prozeduralen PDCA-Zyklus (Plan-Do-Check-Act) anzupassen und (digitale) Performancemodelle sowie „mögliche“ Zukünfte mittels Szenariotechnik zu entwickeln. Auf diese Weise wird es gelingen, die Regelversorgung großflächig und langfristig hin zur Care Share 13-Daseinsvorsorge zu verändern.

 

„Damit die Architekturkommission agil arbeiten kann, ist die Sandbox in Form eines rechtlichen Freiraumes mit Experimentier- und Öffnungsklauseln, dem Reallabor, zu gestalten“

 

Mit welchem Schritt sollte die Architekturkommission starten, damit die menschzentrierte Versorgung nach dem Care Share 13-Systemdesign verwirklicht werden kann?

Ein erster wichtiger Schritt ist, dass die Architekturkommission in der Startphase mit Historikern, Politologen und Soziologen Wissen aufbaut, um zwei wesentliche Aspekte zu verstehen:

  • Was sind die großen Linien im Gesundheitssystem?
  • Wie ist es zu den gegenwärtigen Linien gekommen ist?

Anders ausgedrückt: Die Personen in der Architekturkommission werden zunächst ein historisches und aktuelles Zusammenhangswissen erlernen und ein kollektives Langzeit-Gedächtnis aufbauen. Das ist notwendig, weil das deutsche Gesundheitssystem noch sehr der Vergangenheit verhaftet ist. Die Zukunft wird durch den rasanten Fortschritt immer kleinteiligere Aspekte liefern, die wir ohne eine historische Reflexion immer weniger in große Kontexte und erst recht nicht in eine gute Versorgungszukunft einordnen können.

Die aktuelle Krankenhausreform z. B. adressiert ein richtiges Ziel und greift tief in die tradierten Strukturen ein. Allerdings adressiert sie nur einen Teilbereich des Gesamtsystems. Schließlich ist die Krankenhausbehandlung nur eine kleine Episode im Leben der Menschen mit Versorgungsbedarf. Der viel größere Teil der Versorgung spielt sich im „ambulanten“ bzw. wohnortnahen Bereich ab.

Wenn wir jetzt nicht anfangen, uns Gedanken über eine grundsätzlich neue Versorgungsorganisation im Zeitalter der Digitalisierung zu machen und die dafür notwendigen Voraussetzungen zu formulieren, dann bleiben wir in der Abwärtsspirale mit negativen Folgen für unser demokratisches Grundverständnis.

Im IPAG haben wir viele der seit 40 Jahren bekannten kleinen Vorläufer, die wie Haarrisse in einem festgefügten System sind, aufgegriffen. Diese führen in eine neue Welt und wir haben sie zu dem neuen Strukturdesign Care Share 13 zusammengefügt. Zu diesen Vorläufern gehören u. a.:

  • die Bewegung der Gesundheitsregionen,
  • die Abkehr vom Arzt als zentrale Wissens- und Organisationsfigur im deutschen System,
  • die Digitalisierung und
  • das Ambulantisierungspotenzial der Medizin.

Die Zukunft liegt in einem neuen strukturierten und interprofessionellen Miteinander, das erst durch die Digitalisierung ermöglicht wird und das historisch rechtlich neu spurgeführt sein muss. Aktuelle Gesetze wollen zwar ein neues Miteinander, jedoch werden dafür die Weichen nicht gestellt. Aufgrund der historischen Tiefe des Systems mit all seinen Besitzstandswahrungen, kann das nur mit Cathedral Thinking gelingen.

 

„Die Personen in der Architekturkommission werden ein kollektives Langzeit-Gedächtnis aufbauen. Das ist notwendig, weil das deutsche Gesundheitssystem noch sehr der Vergangenheit verhaftet ist und wir den Fortschritt ohne eine historische Reflexion immer weniger in große Kontexte und erst recht nicht in eine gute Versorgungszukunft einordnen können.“

 

Was genau bedeutet Cathedral Thinking für das Gesundheitssystem?

Cathedral Thinking bedeutet, dass wir die Gestaltung des künftigen Gesundheitssystems auf einem langfristigen Zeitstrahl vordenken – wohl wissend, dass wir die Ergebnisse unseres Engagements möglicherweise nicht mehr selbst erleben werden. Schließlich zeigen die erforderlichen Strukturgesetze ihre Wirkungen erst Jahre bzw. Jahrzehnte später.

Die Arbeit rund um die Erstellung des Systemdesigns Care Share 13, die wir beim IPAG seit dem Jahr 2022 leisten, und auch die künftige Transformation des bestehenden Bismarck-Systems hin zum Care Share-System sind Cathedral Thinking, denn:

  • Wir haben eine klare Zukunftsvision für ein gemeinwohlorientiertes, evidenzbasiertes und bürokratiearmes Versorgungssystem im Zeitalter „Ökosystem“ entwickelt: Das Systemdesign Care Share 13.
  • Wir haben das Systemdesign Care Share 13 mit dem Positionspapier 1.0 skizziert und am  08.07.2023 veröffentlicht. Die Konkretisierung des Grobkonzepts für die politischen Entscheidungsträger:innen wollen wir mit dem Positionspapier 2.0 im zweiten Quartal des Jahres publizieren.
  • Wir sind ein wachsender Verein und wir engagieren uns dafür, dass das Systemdesign Care Share 13 langfristig umgesetzt wird.

Ich selbst beschäftige mich seit 20 Jahren mit der Entstehungsgeschichte der GKV, ihren Akteuren und der Berufsentwicklung. Alte Systeme bekommen Haarrisse. In der Geschichte gab es diese immer zunächst in Form kleiner Bewegungen, die über die Jahre und Jahrzehnte größer und zu einem neuen historischen Knotenpunkt wurden. Solche Knotenpunkte diktierten und diktieren eine Zeitlang die Bedingungen. So entstanden u. a. die Honorarordnungen für Ärzte, die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Wohlfahrtsverbände, die Pflegeversicherung, der Medizinische Dienst, der GKV-Spitzenverband, der Risikostrukturausgleich, der Gesundheitsfonds und vieles mehr.

Die Welt dreht sich immer weiter, dadurch kommt Neues, die bisherigen Knotenpunkte mit ihren Autoritäten lösen sich langsam auf und das Neue kann und will sich etablieren. Wenn politische Entscheidungsträger:innen oder andere Akteure der Gesundheitsversorgung derzeit meinen, für die Zukunft zu sprechen, sehen sie krampfhaft in den Rückspiegel, denn es gelingt ihnen nicht, sich gemeinsam darüber zu verständigen, wie das Gesundheitssystem in 30 Jahren aussehen könnte.

Das zeigt sich u. a. daran, dass Gutachten und Masterpläne veröffentlicht werden, die meistens auf tradierten Strukturen beruhen. Es mangelt an unvoreingenommenen und lebendigen Diskussionen, wie z. B. zu:

  • der Ablösung der bisherigen ärztlichen Honorarsysteme,
  • dem Aufbau eines einheitlichen Versicherungssystems,
  • der Sinnhaftigkeit eines Kassenwettbewerbs im bisher gegliederten System mit Solidaranspruch oder
  • der Ablösung des Medizinischen Dienstes durch datengestützte Versorgungsverträge.

Es fehlt an Wissen, Vorstellungskraft und Mut, langfristig zu denken und dabei auch „heilige Kühe“ ins Visier zu nehmen und Neues überhaupt nur gedanklich zuzulassen.

 

„Cathedral Thinking: Wir denken die Gestaltung des künftigen Gesundheitssystems auf einem langfristigen Zeitstrahl vor.“

 

Welche Chancen und Risiken sehen Sie im Zuge der Transformation hin zum Care Share 13-System?

Auf Grund der vielen konzeptionellen Vorarbeiten, die im Rahmen vieler Projekte geleistet wurden, könnten wir schnell erfolgreich sein und die bedarfsorientierte Versorgung kurzfristig verwirklichen. Durch eine regelhafte, interprofessionelle Zusammenarbeit erhalten insbesondere Menschen mit chronischen Erkrankungen und komplexen Versorgungsbedarfen eine höhere Versorgungssicherheit.

Dennoch ist es entscheidend, dass die schnell umsetzbaren Schritte in ein größeres Ganzes, nämlich in das Zielbild, eingebettet werden.

Das bedeutet für mich, dass vor Ort neue regionale, stabile Organisationsformen aufzubauen sind und dabei u. a. folgende Fragen geklärt werden:

  • Was ist z. B. ein ländlicher Bereich, in dem die Versorgung zu planen, zu organisieren und sicherzustellen ist?
  • Wie messen wir gleichwertige Lebensverhältnisse?

Hierzu gibt es viele Vorarbeiten, wie z. B. die des Thünen-Instituts, die sehr differenziert sind und auch nach dem Erleben der Menschen vor Ort fragen. Erkenntnisse der Raumordnung sind zwingend mit einzuarbeiten.

Der Sandbox-Ansatz und die Einrichtung einer langfristigen Architekturkommission ermöglichen für die anstehende Transformation hin zu einem Care Share-System zugleich Stabilität und Flexibilität. Zweifelsfrei bedeutet all das gerade in der Anfangszeit eine Mehrarbeit. Allerdings sind wir jetzt an einem Punkt angelangt, an dem die viele Arbeit in den bisherigen Bismarck-Strukturen kaum noch Sinn ergibt.

Aus diesem Lock-In kommen wir nur mit einem anderen Denken, dem Cathedral Thinking, das unsere Zeit überragt und für das wir heute den Einstieg finden müssen.

 

Vielen Dank für das interessante Gespräch.

Janine Müller-Dodt, Inhaberin von Müller-Dodt Healthcare Transformation, ist Systemischer Business Coach, Change Management Coach, ActeeChange-Beraterin und OKR Business Coach.

Über die Herausgeberin

Janine Müller-Dodt widmet ihre Karriere dem Ziel, die Gesundheitsversorgung und Lebensqualität zu verbessern. Nach ihrem Abschluss in International Business Management war sie zehn Jahre lang in leitenden Positionen bei großen Pharmaunternehmen tätig. Ihre Erfahrungen mit mangelnder Transparenz und Führung während wichtiger Veränderungsprozesse motivierten sie, seit 2013 als Solopreneurin zu arbeiten. Zunächst unter „Janine Dodt Healthcare Consulting“ und seit 2023 unter der Marke „Müller-Dodt Healthcare Transformation“ berät, unterstützt und befähigt Janine Müller-Dodt Führungskräfte und Teams in Veränderungsprozessen, sodass sie das Neue mit Leichtigkeit erfolgreich etablieren können.

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