Professor Dr. Jörg Debatin im Interview

Healthcare Change-Pioniere - Professor Dr. Jörg Debatin spricht im Interview mit Janine Müller-Dodt über die künftige Arzt-Patienten-Beziehung und die Instrumente einer Patient Experience.

©Professor Dr. Jörg F. Debatin

Im Interview spricht Professor Dr. Debatin über die künftige Arzt-Patienten-Beziehung, die Instrumente einer funktionierenden sektorenübergreifenden und menschenorientierten Patient Experience und über Honic, der von ihm mit gegründeten Plattform für eine DSGVO-konforme Forschung mit klinischen Routine-Daten.

Der Healthcare Unternehmer Professor Dr. Jörg F. Debatin verfügt über breite Erfahrung an den Schnittstellen zwischen Medizin, Wissenschaft und technologischer Entwicklung.

Nach seiner Zeit als Direktor der Radiologie in der Uniklinik Essen wechselte er als Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender an das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und digitalisierte das Klinikum so konsequent, dass bereits 2010 alle medizinischen Prozesse papierfrei waren. Im Jahr 2014 übernahm er die Rolle als Vice-President und Chief Technology Officer bei GE Healthcare und verantwortete die Technologiepipeline und die Forschungsaktivitäten des Konzerns. Im April 2019 ernannte ihn der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zum Leiter des health innovation hub (hih), einem bis zum 31. Dezember 2021 befristeten Projekt des Bundesministeriums für Gesundheit.

Herr Professor Debatin, wie stellen Sie sich die Gesundheitswirtschaft und die Zusammenarbeit der Akteure in fünf Jahren vor?

Professor Dr. Jörg F. Debatin: Da die Medizin recht konservativ ist, werden sich die Akteure nur evolutionär weiterentwickeln. Fünf Jahre ist da keine lange Spanne. Bezogen auf die Digitalisierung in der Medizin erscheinen uns fünf Jahre vielleicht doch lang, wenn wir die letzten vier Jahre als Maßstab nehmen: In der vergangenen Legislatur haben wir gesetzgeberisch und regulatorisch viel aufgeholt, was in den davor liegenden 15 Jahren liegen geblieben ist. Daher entstand der Eindruck, dass sich ganz viel, ganz schnell bewegt hat. Doch die Wahrheit ist, dass Deutschland lediglich aus dem Dornröschenschlaf erwacht ist und sich mit dem Aufholen beeilt, um den Anschluss an die globale Entwicklung nicht zu verlieren.

Die Grundfeste der Medizin haben sich aber auch durch das gesetzgeberische Feuerwerk der letzten Jahre nicht verändert: Gesundheit ist und bleibt Vertrauensgeschäft. Im Zentrum dieses Vertrauens steht die Arzt-Patienten-Beziehung und diese wird auch in Zukunft das Epizentrum der medizinischen Versorgung bleiben.

Allerdings werden sich Arzt und Patient zunehmend anderer Instrumentarien bedienen, um diese Arzt-Patienten-Beziehung mit noch mehr Leben zu füllen. Dabei wird die Digitalisierung helfen, indem sie den Schwellenwert der Arzt-Patient Interaktionen senkt. Für den Patienten ist es leichter, online einen Termin für eine Videosprechstunde zu vereinbaren und wahrzunehmen, als mit herkömmlichen Mitteln – also Terminvereinbarung per Telefon (immer besetzt oder außerhalb der Öffnungszeiten), verbunden mit einer längeren Anreise, der Suche nach einem Parkplatz und Wartezeit, – den Arzt schließlich für fünf Minuten zu Gesicht zu bekommen.

Insbesondere bei chronischen Erkrankungen, bei denen es um Monitoring und eine kontinuierliche Betreuung geht, sind niedrigschwellige Interaktionen wichtig. Sie geben dem Arzt die Möglichkeit, medizinische Entgleisungen frühzeitiger zu erkennen. So kann die Therapie schneller bedarfsgerecht angepasst werden. In vielen Fällen können dadurch Krankenhauseinweisungen vermieden werden. Mittels digitaler Dokumentation und Vernetzung der verschiedenen Dateninseln kann sich der Arzt künftig besser auf sämtliche Interaktionen mit dem Patienten vorbereiten. Hinzu kommen neue digitale Sensorik-Technologien, die eine kontinuierliche, automatisierte Überwachung von Patienten ermöglichen.

Einer der großen Trends in der Medizin besteht in der Entwicklung von zentralen hin zu dezentralen Strukturen. Deshalb sind die zentralistischen Ansätze des Dänemark-Modells, wonach wir die 1.800 Krankenhäuser Deutschlands in 180 Großkrankenhäuser umwandeln sollten, nicht wirklich zukunftsweisend. Die Zukunft der Medizin ist da, wo der Patient ist. Und der Patient möchte am liebsten zu Hause sein; er möchte, dass der Arzt zu ihm ins Wohnzimmer kommt. Und ich als Arzt möchte mittels eines Sensors unmittelbar am Ort des Geschehens sein, denn so kann ich dem Patienten am besten helfen. Diese Konvergenz von Interessen – also hin zum Patienten und hin zu dezentralen Strukturen – gekoppelt mit digitalen Technologien wird dazu führen, dass die Arzt-Patienten-Beziehung intensiver gelebt wird. Ärzte werden mehr Informationen haben und damit dieser Beziehung inhaltlich mehr Gewicht geben. Gleichzeitig werden wir viel mehr dieser Interaktionen erleben, weil sie leichter und schneller organisiert werden können.

 

„Die Zukunft der Medizin ist da, wo der Patient ist. Und der Patient möchte am liebsten zu Hause sein.“

 

Welche Herausforderungen müssen die Akteure jetzt angehen, damit die intensivere Arzt-Patienten-Beziehung auf- und ausgebaut werden kann?

Ein zentrales Thema ist für mich die Stärkung der Patientensouveränität. Deshalb ist es höchste Zeit, Patientenvertreter in den G-BA aufzunehmen. Schließlich wollen wir als Akteure dazu beitragen, dass es den Menschen besser geht. Und dazu gilt es, immer wieder zu hinterfragen, welche Bedürfnisse die Menschen wirklich haben. Eine elementare Voraussetzung für ein Mehr an Patientensouveränität ist die weitere Stärkung der Gesundheitskompetenz der Menschen. Hier sind uns einige Länder insbesondere im anglo-amerikanischen Bereich voraus, was auch an den Finanzierungsmodalitäten liegt wie der in diesen Ländern üblichen hohen Selbstbeteiligung.

Daneben müssen wir das digitale Rezept (eRezept), die digitale Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) und vor allem die elektronische Patientenakte (ePA) als Fundament einer digitalisierten Gesundheitsversorgung real erlebbar machen. Nach über einem Jahrzehnt der Planung haben das die Menschen in Deutschland auch verdient. In diesem Zusammenhang müssen wir uns ernsthaft fragen, warum es uns als Industrieland so schwerfällt, digitale Minimalstandards umzusetzen. Ein digitales Rezept ist technologisch wahrlich kein Hexenwerk. Die Feststellung, dass die Umsetzung dennoch nicht klappt, und einigen beteiligten Industrieunternehmen nach eigenem Bekunden „alles zu schnell“ geht, ist ein wirkliches Armutszeugnis für den IT-Industriestandort Deutschland. Mit einer solchen Einstellung müssen wir uns nicht wundern, wenn uns Amazon, Google und Co immer weiter abhängen. Im Fall der Gesundheitsversorgung darf uns das aber nicht egal sein. Wir sollten Wert darauflegen, dass unsere Gesundheitsdaten explizit und ausschließlich für den Zweck einer besseren Gesundheit eingesetzt werden. Deshalb ist es nötig, dass die Industrie hier rasch aufholt, und das Geschäftsmodell der proprietären Datenformate und der damit einhergehenden IT-Gefangenschaft von Ärzten und Krankenhäusern beendet. Hierfür hat der Gesetzgeber in den vergangenen Jahren bereits gute Akzente gesetzt. So gibt es inzwischen verpflichtende Interoperabilitäts-Standards und vieles mehr.

Auch die gematik hat sich in den letzten Jahren zumindest in Sachen Transparenz ausgesprochen positiv entwickelt. So gibt das TI-Dashboard einen transparenten Überblick u. a. mit Bezug auf die eingelösten eRezepte, gesendeten elektronischen Arztbriefe und an die Krankenkassen übermittelten eAUs. Das ist mutig und genau der richtige Schritt. Darüber hinaus sollte sich die gematik noch mehr zu einem Regelgeber und Schiedsrichter weiterentwickeln und dabei noch enger mit der Industrie zusammenarbeiten.

Schlussendlich müssen auch die Leistungserbringer verstehen, dass die Menschen digitale Instrumente für eine optimale Gesundheitsversorgung brauchen. Ärzte, die Verantwortung für ihre Patienten übernehmen, müssen dafür sorgen, dass die Vorteile digitaler Instrumente bei den Menschen ankommen. Ich war sprachlos, als die KBV ein Moratorium bei der Digitalisierung forderte. Genauso sprachlos war ich, als unser neuer Gesundheitsminister das eRezept und die eAU in einem Interview mit der KBV als „gestoppt“ beschrieben hat. Alle Beteiligten müssen sich ihrer Verantwortung gegenüber denen klarer werden, für die wir das alles tun. Es geht in erster Linie nämlich nicht um Ärzte, Pflegefachkräfte, Therapeuten oder Minister, sondern um Patienten! Deshalb haben wir die kollektive Verpflichtung uns an den Bedürfnissen der Menschen zu orientieren. Die Menschen wollen die Digitalisierung im Gesundheitswesen, denn spätestens während der Corona-Pandemie haben sie verstanden, dass der Einsatz digitaler Instrumente entscheidend helfen kann.

 

Wie tragen Sie als Healthcare Unternehmer dazu bei, die Gesundheitsversorgung zu verbessern?

Ich unterstütze als Healthcare Unternehmer verschiedene Medtech-, Biotech- und Service-Unternehmen bei strategischen Fragestellungen sowie im Bereich der Digitalisierung. Mir liegt besonders am Herzen, dass alle an der Gesundheitsversorgung Beteiligten erkennen, dass wir Daten benötigen, und dass es Wege braucht, diese Daten zu nutzen. Gesundheit und Gesundheitsdaten sind für die Weiterentwicklung der Medizin, gerade im Hinblick auf die Potenziale der personalisierten Medizin, von zentraler Bedeutung. Wenn wir diesbezüglich von Amazon, Google und Co nicht überrollt werden wollen, müssen wir bereit sein, eigene Wege zu gehen.

Genau deshalb ist mir die Gründung von honic so wichtig. Mit starken Partnern, die allesamt dem europäischen Rechtsrahmen verpflichtet sind, bauen wir eine Daten-Plattform für Gesundheitsdaten als Fundament für mehr Qualität und Fortschritt in der Gesundheitsversorgung. Ziel ist ein sicherer Datenraum „Made in Germany“, basierend auf den gemeinsamen Normen und Werten der EU, der eine DSGVO-konforme Sekundärnutzung für die Forschung und Entwicklung in der Medizin ermöglicht. Damit werden wir künftig Fragestellungen auf Basis realer klinischer Daten in Deutschland beantworten können, ohne dabei Kompromisse bei Technologie, Sicherheit und Datenschutz eingehen zu müssen.

 

„Es geht in erster Linie nämlich nicht um Ärzte, Pflegefachkräfte, Therapeuten oder Minister, sondern um Patienten! Deshalb haben wir die kollektive Verpflichtung uns an den Bedürfnissen der Menschen zu orientieren. Die Menschen wollen die Digitalisierung im Gesundheitswesen, denn spätestens während der Corona-Pandemie haben sie verstanden, dass der Einsatz digitaler Instrumente entscheidend helfen kann.“

 

Auf welche Initiative, die Sie gemeinsam mit dem Health Innovation Hub (hih) voranbringen konnten, sind Sie besonders stolz und warum?

Unsere Aufgabe bestand darin, die Gesetzgebung in Sachen digitaler Medizin mit eigenen Ideen zu begleiten, um den Nutzen der Digitalisierung für eine verbesserte Patientenversorgung zu heben. Dabei gab es zahlreiche spannende Themenbereiche. Besonders in Erinnerung bleiben werden mir die digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA). Das Grundkonzept bestand schon, bevor der hih im April 2019 ins Leben gerufen wurde. Es war beeindruckend, mitzuerleben, wie etwas komplett Neues innerhalb einer Legislatur vom Konzept über Gesetzgebung und Verabschiedung bis hin zur Implementierung in die Regelversorgung vorangetrieben wurde. Ich habe als Arzt immer mit Medikation und medizinischen Hilfsmitteln gearbeitet und jetzt kommt eine vollkommen neue Kategorie dazu: die App bzw. das browser-basierte Medizinprogramm auf Rezept. Gemäß einer Publikation im Januar 2022 wurden seit dem Start der DiGAs knapp 40.000 Rezepte im Bereich der digitalen Therapieansätze verordnet, d. h. die Verschreibung von DiGAs steht erst am Anfang. Das wird sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren stark weiterentwickeln. Die DiGAs werden sich zu einer elementaren dritten Säule der medizinischen Therapie entwickeln.

Ebenso in guter Erinnerung ist mir das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) geblieben. Aus der Not heraus geboren, ist das KHZG handwerklich ein ausgesprochen gut gemachtes Gesetz. Gemeinsam mit Praktikern wurden neben der IT-Sicherheit neun inhaltliche, klar definierte digitale Handlungsfelder mit eindeutigen Muss- und Kann-Kriterien definiert. Zusätzlich wurde ein Messsystem, das DigitalRadar Krankenhaus, eingerichtet, dessen erste Ergebnisse im Februar veröffentlicht wurden. Die zweite Messung erfolgt in 2 Jahren, um den Impact der Förderung zu messen. Neben der bestehenden Förderung von Projekten mit einem Gesamtvolumen von 4,3 Milliarden Euro gibt es einen zusätzlichen Anreiz für die Krankenhäuser: Sofern fünf elementare digitale Dienste nicht bis 2025 bereitgestellt werden, muss bei jedem voll- und teilstationären Fall mit einem Abschlag von zwei Prozent gerechnet werden. Als Gesamtpaket wird das KHZG den digitalen Reifegrad der deutschen Krankenhäuser massiv erhöhen. Profitieren werden dadurch Patienten wie auch Mitarbeiter.

Es hat mir großen Spaß gemacht, Teil dieser Entwicklungen gewesen zu sein, die uns in der Versorgung der Menschen bereits heute qualitativ deutlich nach vorne gebracht hat.

 

Welche Hürden gibt es aus Ihrer Sicht bei der Umsetzung der dringlich notwendigen Digitalisierung in der Gesundheitswirtschaft und wie können die Akteure diesen begegnen?

Der Gesetzgeber hat vieles initiiert, damit sich die Digitalisierung in der Gesundheitswirtschaft entfaltet. Das KHZG adressiert die Defizite im Bereich der Krankenhäuser. Wir benötigen etwas ähnliches für die Praxen im ambulanten Bereich. Denn die Praxen nutzen IT-Systeme, die ursprünglich für Abrechnungszwecke und für die Binnenorganisation innerhalb der Praxis gebaut wurden. Mit den anstehenden Vernetzungsthemen sind viele dieser Systeme überfordert. Das ist auch einer der Hauptgründe für die Verzögerungen bei der Implementierung von eRezept, ePA und anderen Services.

Es wird nicht gelingen, mit diesen althergebrachten Systemen zeitgemäße Anwendungen umzusetzen. Die veraltete Architektur gibt es nicht her, es fehlen die offenen Schnittstellen, Interoperabilitätskriterien sind nicht erfüllt und vieles mehr. Deshalb braucht es ein „Praxis-Zukunftsgesetz“, um die niedergelassene Ärzteschaft bei der notwendigen IT-Umstellung zu unterstützen. Hier muss nachgearbeitet werden.

Ansonsten wäre ich froh, wenn sich die Ampelkoalition auf die Umsetzung dessen konzentrieren würde, was sie angekündigt haben. Dazu gehören das Gesundheitsdatennutzungsgesetz ebenso wie der Ausbau der Telemedizin. Schauen wir in die Schweiz, stellen wir fest, dass die telefonische und digitale Interaktion zwischen Arzt und Patient deutlich weiterentwickelt ist. Der Nutzen ist eindeutig belegt und die Arzt-Patienten-Beziehung hat nicht gelitten. Davon brauchen wir auch in Deutschland mehr. Wir haben jetzt die Videosprechstunde und entsprechende Teleplattformen. Wir sollten die Regulatorik erweitern, um das telefonische Konsil ebenso zu ermöglichen wie die asynchrone digitale Kommunikation. Nur so werden wir effizienter und erreichen noch mehr Versicherte. Leider geht die Entwicklung in Deutschland in die entgegengesetzte Richtung: So hatte die KBV nichts Besseres zu tun, als die während der Pandemie ausgesetzte Kontingentierung der per Videosprechstunde erbrachten Leistungen auf 30 Prozent zum 2. Quartal 2022 wiederzubeleben. Ein fatales Zeichen, das ärztliche Eigeninteressen über die Wünsche und Bedürfnisse vielen Patienten stellt.

 

„Der Gesetzgeber hat vieles initiiert, damit sich die Digitalisierung in der Gesundheitswirtschaft entfaltet. Das KHZG adressiert die Defizite im Bereich der Krankenhäuser. Wir benötigen etwas ähnliches für die Praxen im ambulanten Bereich.“

 

Welches sind aus Ihrer Sicht die Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Digitalisierung der Gesundheitswirtschaft?

Es ist elementar, den Nutzen der Digitalisierung in der Gesundheitswirtschaft aufzuzeigen. Die Bürger müssen sehen und erleben, dass es für sie besser und einfacher wird.

Wenn die zu versorgenden Bürger befragt werden, zeigt sich, dass die Menschen die Digitalisierung wollen: Eine KBV-Befragung bestätigte, dass eine Mehrheit der Menschen einen Vorteil in der Digitalisierung sieht. Und 52 Prozent der von Bitcom Befragten bestätigten, dass digitale Instrumente während der Corona-Pandemie geholfen haben, die gesundheitlichen Herausforderungen der Befragten zu meistern. Wenn wir den Nutzen einer eAU für die Bürger erlebbar machen, dann mache ich mir über die Akzeptanz derartiger Neuerungen wenig Sorgen.

 

Welche Instrumente tragen dazu bei, dass die sektorenübergreifende Kommunikation und der Austausch von Patientendaten und eine menschenorientierte Patient Experience gelingt?

Wir haben die Telematik-Infrastruktur und die elektronische Patientenakte als Basis geschaffen. Beides muss jetzt genutzt und mit Leben gefüllt werden, damit genau dieser Zweck und darüber hinaus die Versorgung der Menschen würdig erfüllt werden kann.

Ein Beispiel: Der niedergelassene Arzt der einen Patienten nach einem Krankenhausaufenthalt betreut, braucht den Entlass-Brief, die Entlass-Medikation und den OP-Brief. Wir sollten uns genau auf diese Muss-Inhalte konzentrieren. Dazu gehört auch die International Patient Summary (IPS) mit laufenden Diagnosen, Medikamenten und Allergien. Wird der Patient vom Hausarzt an den Kardiologen überwiesen, liegen mit dem IPS bereits 70 Prozent der für eine Ersteinschätzung notwendigen Informationen vor. In der Konsequenz kann sich der Kardiologe sehr viel schneller dem Patienten und seinem kardiologischen Thema zuwenden. Genau hierfür gilt es jetzt, Übersichten in Form von medizinischen Informationsobjekten umzusetzen, die von der KBV kompetent entwickelt wurden.

Bei der Einführung digitaler Anwendungen braucht es auch mehr Evaluations- und Testmöglichkeiten. Denn kein System ist von Anfang an perfekt. So wünsche ich mir in Deutschland klar ausgewiesene Regionen, die sich für die Evaluation neuer digitaler Anwendungen bereithalten und für den Zusatzaufwand auch finanziert werden. Anhand der in diesen Regionen gemachten Erfahrungen können die Anwendungen optimiert werden, bevor sie dann im ganzen Land ausgerollt werden. Bislang ist so ein Konzept leider nicht ausgebildet – auch hier sollten wir nachsteuern.

 

Vielen Dank für das interessante Gespräch.

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