Professor Dr. Stephan Burger im Interview
© MedicalContact AG
Der promovierte Volkswirt und Doktor der Volkswirtschaftslehre Professor Dr. Stephan Burger ist seit dem Jahr 2010 als Leitender Direktor der MedicalContact AG in Essen tätig. Im Jahr 2009 wurde er als erste Persönlichkeit aus dem Fachbereich Gesundheitswesen aufgrund seines Engagements in Lehre und Studium sowie in der Gesundheitswirtschaft und -politik zum Honorarprofessor für Gesundheitsökonomie der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften Braunschweig/Wolfenbüttel ernannt.
Seine Affinität zum Gesundheitswesen entdeckte er unmittelbar nach seinem Studium an der Universität Trier, als er in leitender Funktion beim BKK Bundesverband zunächst den Bereich „Verbandspolitik und Kommunikation“ und später den Bereich „Vertragspolitik“ verantwortete. Zusätzlich baute er den Wissenschaftlichen Beirat der Betrieblichen Krankenversicherung auf und leitete diesen als Geschäftsführer.
Das Herzensthema von Professor Burger ist es, Menschen mit Versorgungsbedarf in den Mittelpunkt der Versorgung zu stellen. Das bedeutet für ihn, dass die zu versorgende Person und ihre Angehörigen eine andere Rolle einnehmen. Deshalb ist es das erklärte Ziel der seit 2002 in Essen etablierten MedicalContact AG, bestehende Lücken im anbieterdominierten Versorgungssystem zu schließen. Bekannt wurde die MedicalContact AG aufgrund der Durchführung strukturierter Versorgungsprogramme, der sogenannten Disease Management Programme (DMP), zur Unterstützung der Menschen mit Diabetes, mit einer koronaren Herzerkrankung, mit Asthma oder COPD.
Herr Professor Burger, wie trägt die MedicalContact AG dazu bei, die Gesundheitsversorgung zu verbessern?
Professor Burger: Auf Basis unserer über 20-jährigen Erfahrung mit Menschen, die gleichzeitig an verschiedenen und häufig chronischen Erkrankungen leiden, haben wir ein Coaching-Konzept zur telefonischen Begleitung dieser Menschen mit einem gesundheitsbezogenem Unterstützungsbedarf entwickelt. Mit diesem Coaching-Konzept sprechen wir an:
- Menschen mit einer oder mehreren chronischen Krankheiten bzw. einem hohen Risiko, an einer chronischen Krankheit zu erkranken,
- die Versicherten,
- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Unternehmen im Zusammenhang mit dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement und auch
- die pflegenden Angehörigen in allen gesundheitlichen Fragestellungen.
Beim Gesundheitscoaching stellen wir den Menschen ganzheitlich in den Fokus – also die Person mit ihren individuellen Gesundheitsbedarfen und ihren konkreten Lebensumständen. Im Rahmen des medizinischen Gesundheitstelefons stehen wir für jedwede gesundheitsbezogene Frage täglich rund um die Uhr zur Verfügung.
Eine Teilnahme an einem unserer Gesundheitscoaching-Programme ist unter folgenden Voraussetzungen möglich:
- Kostenübernahme durch die Krankenversicherung,
- absolute Freiwilligkeit und
- Bereitschaft der Person mit einem Gesundheitsbedarf, sich auf das Gesundheitscoaching einzulassen.
Jede Person, die sich zu einem Coaching-Programm anmeldet, erhält einen persönlichen Coach und weitergehende Informationen und Unterstützung zu konkreten Schwerpunktthemen. Der Gesundheitscoach unterstützt den Programmteilnehmenden über telefonische Kontakte und Videogespräche dabei, zusätzliche Gesundheitskompetenzen zu erlernen und alternatives, praktikables und gesundheitsförderliches Verhalten auszuprobieren und dauerhaft als neue Alltagsroutine zu übernehmen. Zusätzlich hilft der Gesundheitscoach bei der Auswahl des passenden Gesundheitsangebotes von Ärzten, Krankenversicherungen oder Betrieben.
Die Maßnahmen des Gesundheitscoachings bewirken, dass die gecoachte Person
- ihre Gesundheit erhält, indem Komplikationen und Begleit- bzw. Folgeerkrankungen und die damit verbundenen Krankenhausaufenthalte reduziert werden,
- besser mit ihrer bestehenden Erkrankung leben kann,
- etwaige Risiken im Alltag beseitigt und
- ihr Wohlbefinden und damit ihre Lebensqualität verbessern kann.
„Mit dem Gesundheitscoaching unterstützen wir Personen mit gesundheitsbezogenen Unterstützungsbedarfen dabei, zusätzliche Gesundheitskompetenzen zu erlernen und alternatives, praktikables und gesundheitsförderliches Verhalten auszuprobieren und dauerhaft als neue Alltagsroutinen zu übernehmen.“
Beschreiben Sie bitte anhand eines Beispiels, wie die Menschen mit Unterstützungsbedarf vom Gesundheitscoaching profitieren.
Wir führen beispielsweise seit dem Jahr 2007 das geriatrische Schulungsprogramm „Casaplus“ für multimorbide Patientinnen und Patienten mit einem erhöhten und durch das Gesundheitscoaching beeinflussbaren Hospitalisierungsrisiko durch. Bis heute haben bereits etwa 30.000 Menschen teilgenommen, die von dem ganzheitlichen und personenbezogenen Coaching-Ansatz profitieren konnten.
Casaplus beinhaltet sieben Beratungsmodule, zu denen die Teilnehmenden nach einem ausführlichen Aufnahme- und Anamnesegespräch entsprechend ihrer persönlichen Beratungsziele und -wünsche zugeordnet werden:
- Kardiovaskuläre Erkrankung,
- Gastrointestinale Erkrankung,
- Onkologische Erkrankung,
- Schmerzerkrankung,
- Sturzgefährdung,
- Fehlernährung bzw. Flüssigkeitsmangel und
- Pflege und Soziales.
Die Casaplus-Teilnehmenden werden im Laufe des Programms durchschnittlich in drei bis vier Modulen beraten. Das bedeutet, dass der persönliche Gesundheitscoach seine zu betreuenden Versicherten in regelmäßigen Abständen
- zu möglichen Gesundheitsrisiken in Bezug auf das gewählte Schwerpunktthema aufklärt,
- im Umgang mit Symptomen und in der Früherkennung von Krisen schult und
- bei Bedarf zu passenden Versorgungsmöglichkeiten in der Krankenversicherung berät und aufklärt.
Die drei Module Sturz, Fehlernährung oder Pflege und Soziales sind mit dem zusätzlichen Angebot einer aufsuchenden Beratung durch einen Pflegedienst verbunden. Dank unseres bundesweiten Netzwerkes von Pflegediensten können wir die individuelle Wohnsituation im Gesundheitscoaching einbeziehen und konkrete Handlungsempfehlungen geben, sodass z. B. Stolperfallen in der Wohnung beseitigt werden können.
Mit Casaplus ermöglichen wir, dass die älteren Menschen möglichst lange im vertrauten Umfeld für sich selbst sorgen können. Auf Wunsch beziehen wir auch die Angehörigen in die Beratung mit ein.
Ein anderes unserer Gesundheitscoaching-Programme ist beispielsweise das Intensiv-Coaching für psychisch belastete Personen. Ziel dieses Coachingprogramms ist es, eine weitere Zuspitzung der Erkrankung zu verhindern und die Wartezeit bis zum Start einer psychotherapeutischen Therapie zu überbrücken.
„Mit dem Casaplus-Coachingprogramm ermöglichen wir, dass die älteren Menschen multimorbiden möglichst lange im vertrauten Umfeld für sich selbst sorgen können.“
Welche Hürden gibt es bei der Durchführung des telefonischen Gesundheitscoachings?
Das Gesundheitscoaching hat sich in der Gesundheitsversorgung noch nicht in der Breite etabliert, was trotz der Vorteile für Versicherte und Kostenträger nicht zuletzt daran liegt, dass Gesundheitscoaching kein Begriff des Sozialgesetzbuches ist.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist sicherlich, dass das Gesundheitscoaching nur dann wirksam unterstützen kann, wenn eine gewisse Veränderungsbereitschaft bei den zu coachenden Menschen mit Gesundheitsbedarfen besteht. Da sich die Menschen jedoch selbst für ein Coachingprogramm entscheiden und einschreiben, ist diese notwendige Veränderungsbereitschaft in der Regel gegeben.
„Gesundheitscoaching ist in der Gesundheitsversorgung noch nicht ausreichend etabliert.“
Welches sind die Erfolgsfaktoren für die erfolgreiche Umsetzung des telefonischen Gesundheitscoachings und wie schaffen Sie es, die Person mit Unterstützungsbedarf mitzunehmen?
Erfolgsfaktor Nr. 1 ist die Qualifikation unserer Gesundheitscoaches: Sie verfügen ausnahmslos über eine medizinische oder pflegerische Fachausbildung in einem Gesundheitsberuf, z. B. als:
- Ärztin oder Facharzt,
- (Zahn-)Medizinische Fachangestellte (MFA bzw. ZMF) oder Pharmazeutisch-technischer Assistent (PTA),
- Gesundheits- und Krankenpflegerin oder Therapeut.
Das ist vor dem Hintergrund wichtig, dass unsere zumeist chronisch erkrankten Programmteilnehmenden häufig bereits sehr viel Wissen zur eigenen Erkrankung mitbringen, darüber hinaus auch Schwierigkeiten haben, ihr Gesundheitsverhalten dauerhaft zu verändern und neue Routinen in ihren Alltag zu integrieren. Gleichzeitig achten wir auf eine regelmäßige Weiterbildung unserer Gesundheitscoaches, z. B. in Bezug auf die Themen Medizin, Gesundheitssystem und Coaching-Methoden.
Ein weiterer Erfolgsfaktor ist, dass zwischen dem Gesundheitscoach und dem betreuten Programmteilnehmenden schnell Vertrauen entsteht. Das gelingt unseren Coaches durch ihre wertschätzende und unterstützende Haltung, mit der sie ganzheitlich die persönliche Lebenssituation des Programmteilnehmenden erfassen und daraufhin konkrete, realistische Entwicklungsziele gemeinsam abstimmen. Mit diesem Commitment erhöht der Coach die vom Versicherten gefühlte Verpflichtung, aktiv mitzuwirken, um die Entwicklungsziele zu erreichen.
Um Programmerfolge zu erzielen, ist es wichtig, die jeweils „richtigen“ potenziellen Programmteilnehmenden zu identifizieren und diese für das Programm zu gewinnen. Das gelingt uns durch eigens dafür entwickelte prädiktive und kontinuierlich lernende Risikomodelle.
Die Ergebnisse der aktuellen Evaluation des smartCasaplus-Programms haben wir in der Publikation „smartCasaplus – ein risikobasiertes geriatrisches Gesundheitscoaching für multimorbide Versicherte“ veröffentlicht, die am 02. Februar 2024 im Monitor Versorgungsforschung (MVF) erschienen ist. Die Evaluation belegt, dass das KI-basierte Identifikationsverfahren dazu führt, dass:
- eine menschzentrierte, individuelle Betreuung von Versicherten mit einem erhöhten Hospitalisierungsrisiko realisiert werden kann,
- die demografisch bedingten wachsenden Lücken in der Gesundheitsversorgung reduziert und
- ausschließlich positive Effekte für Versicherte und Kostenträger geschaffen werden.
„Erfolgsfaktor Nr. 1 ist – neben der medizinischen Qualifikation unserer Gesundheitscoaches – die empathische, wertschätzende und ganzheitliche Beratung der Programmteilnehmenden unter Berücksichtigung ihrer individuellen Ressourcen.“
Bei der Begleitung durch einen Gesundheitscoach geht es schlussendlich darum, dass die Person mit Unterstützungsbedarf ihr Verhalten in eine positive, funktionale Richtung verändert. Wie fördern und unterstützen die Gesundheitscoaches der MedicalContact AG diesen Veränderungsprozess?
Im Gesundheitscoaching geht es nicht allein und in erster Linie um die Beseitigung von Wissensdefiziten, sondern vor allem um die Unterstützung bei der Verhaltensänderung und dem Aufbau von Gesundheitskompetenz. Unsere Gesundheitscoaches nutzen dabei geeignete Coaching-Tools, wie beispielsweise:
- systemische Fragetechniken,
- Persönlichkeitskonzepte und
- achtsamkeitsbasierte Methoden.
Den Worten des Wiener Verhaltensforschers Konrad Lorenz folgend, übernehmen unsere Gesundheitscoaches dabei die Verantwortung für die Kommunikation mit den an den Gesundheitsprogrammen teilnehmenden Menschen, für den Coachingprozess und dafür, was an den jeweiligen Punkten zu tun ist.
Gesundheitscoaching packt an vielen Stellen an
Mit Gesundheitskompetenz zur Eigenverantwortung
Mit dem Instrument des Gesundheitscoachings gelingt es:
- das spezifische Wissen für die konkrete Lebenssituation des Programmteilnehmenden zu identifizieren und nutzbar zu machen,
- Wissen über die Funktionsweise des Gesundheitssystems zu vermitteln und
- Unterstützung in der Bewältigung der Krankheitsfolgen anzubieten.
„Im Gesundheitscoaching geht es vor allem um die Unterstützung bei der Verhaltensänderung und dem Aufbau von Gesundheitskompetenz.“
Welche Chancen erwarten Sie für die Patientinnen und Patienten, ihre Angehörigen und auch für die aktiv in der Versorgung beteiligten ärztlichen und nicht-ärztlichen Berufsgruppen, wenn es nachweislich gelingt, das telefonische Gesundheitscoaching in der Breite zu etablieren?
Ich bin überzeugt davon, dass das telefonische Gesundheitscoaching einen deutlichen Mehrwert für die Menschen mit Gesundheitsbedarfen bringt, denn sie können selbstbestimmter und unabhängiger ihr Leben führen und ihr größtmögliches Gesundheitspotenzial verwirklichen – so wie es in der Ottawa-Charta mit dem Stichwort „Empowerment“ beschrieben wurde. Das telefonische Gesundheitscoaching kann dazu beitragen,:
- bestehende Versorgungsdefizite zu reduzieren, z. B. im ländlichen Raum und überall dort, wo ärztliche und/oder nicht-ärztliche Fachkräfte fehlen,
- frühzeitig ein Bewusstsein über dysfunktionale Verhaltensweisen zu schaffen und alternative gesundheitsförderliche Routinen zu entwickeln, mit denen die meisten chronischen Erkrankungen verhindert werden können, und
- Krankheitseskalationen zu verhindern, wie z. B. die Notaufnahme in eine Klinik, wenn bereits eine chronische Erkrankung vorliegt.
Mit Blick auf die sich weiterentwickelnde Telemedizin und die steigende Zahl digitaler Gesundheitsangebote ist das telefonische Gesundheitscoaching aus meiner Sicht ein wertvoller zusätzlicher Baustein, ergänzend zur fortlaufenden haus- bzw. fachärztlichen Versorgung. In den individuell-persönlichen Gesprächen der Gesundheitscoaching-Programme können Coaches dem Versicherten die konkreten Einflussfaktoren und Vitalparameter verständlich erklären, eine Verbindung zum Lebensalltag herstellen und bei der Entwicklung gesundheitsförderlicher Verhaltensweisen unterstützen, die im Idealfall langfristig im Alltag integriert werden.
Auch die Diskussion um die Anhebung des Renteneintrittsalters wird meiner Meinung nach das persönliche Interesse fördern, aktiv mehr für die eigene Gesunderhaltung zu tun, um arbeitsfähig zu bleiben. Dies korrespondiert mit einer spürbar steigenden Nachfrage nach selbstfinanzierten Gesundheitsleistungen im Coachingmarkt. Daher könnte ich mir vorstellen, dass die Gesundheitscoaching-Programme perspektivisch auch für Selbstzahlende interessant werden.
Das gleiche gilt zunehmend für Unternehmen und Institutionen im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM): Chronische Krankheiten und auch Multimorbidität sind die Gründe, die zu längeren und für Unternehmen teuren Fehlzeiten führen. Da die Ursachen für chronische Krankheiten verhaltensbedingt sind, müssen auch die Maßnahmen zur Reduzierung dieser Fehlzeiten am Verhalten ansetzen – Stichwort Gesundheitskompetenz der Mitarbeitenden. Hierfür bieten Gesundheitscoaching und die 24/7-verfügbare, telefonische Sofortberatung einen sinnvollen Beitrag im Rahmen eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements. Die Sofortberatung ermöglicht, dass sich die Mitarbeiter jederzeit und überall telefonisch zu jedweden Gesundheitsthemen informieren und sich zu Versorgungsangeboten beraten lassen können.
Insofern werden sich die BGM-Programme inhaltlich weiterentwickeln: von der bisherigen Verhältnisprävention wie das Bereitstellen von höhenverstellbaren Schreibtischen hin zur Verhaltensprävention von chronischen Erkrankungen, um die damit verbundenen hohen Ausfallzeiten zu verhindern. Die Maßnahmen des Gesundheitscoachings werden dabei noch mehr an Bedeutung gewinnen.
„Telefonisches Gesundheitscoaching bringt einen deutlichen Mehrwert für die Menschen mit Gesundheitsbedarfen, denn sie können selbstbestimmter und unabhängiger ihr Leben führen.“
Unser Gesundheitssystem in Deutschland ist ein auf die Akutmedizin ausgerichtetes, pathogenetisches System. Welche Veränderungsschritte sind aus Ihrer Sicht geboten, damit die Transformation hin zu einem Gesundheitssystem, in dem die Prävention und Gesundheitsförderung das Leitmotiv sind, gelingen kann?
Die bisher von den politischen Entscheidungstragenden initiierten Veränderungsschritte in Bezug auf das deutsche Gesundheitssystem sind häufig nur oberflächliche Veränderungen. Grund sind die starken Beharrungstendenzen, die vielfach mit den bestehenden Vergütungsanreizen und der sektoralen Ausgestaltung des Systems verbunden sind. Mein Plädoyer, um die Aspekte „Prävention“ und „Gesundheitsförderung“ im Gesundheitssystem voranzubringen, wäre eine Stärkung der Nachfrageseite im Gesundheitssystem, wie es der Sachverständigenrat bereits vor vielen Jahre gefordert hat. Wichtige Stichworte sind hier die stärkere Nutzerorientierung und Unterstützung bei der Entwicklung von Gesundheitskompetenz.
Ob das im Aufbau befindliche Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) der große Wurf sein wird, damit sich das deutsche Gesundheitssystem mehr in Richtung Prävention und Gesundheitsförderung entwickelt, wird sich zeigen.
Viel interessanter erscheint mir zumindest von der Idee her das am 26. März 2024 in Kraft getretene Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG), denn es ermöglicht, mit Blick auf § 25b SGB V durch die Zusammenführung von Daten der Kranken- und Pflegekassen neue Optionen frühzeitiger potenzielle Krankheitsrisiken zu erkennen. Aus meiner Sicht wäre es ein guter und richtiger Schritt, wenn diese Daten für eine gezielte Prävention verarbeitet werden. Schließlich eröffnet sich dadurch die Chance, mit rechtzeitigen, bewussten Verhaltensveränderungen aktiv daran zu arbeiten, dass eine gewisse Erkrankung nicht, zeitlich verzögert oder mit geringeren Symptomen eintritt.
Fakt ist: Die Gesundheitsversorgung wird nicht einfacher – ob von der Finanzierungsseite her oder auch mit Blick auf die zunehmenden demografiebedingten Lasten. Deshalb bin ich überzeugt davon, dass der Druck und die Einsicht von jedem einzelnen Menschen zunehmen werden, die eigene Gesundheit stärker in den Mittelpunkt des eigenen Handelns zu stellen. Schließlich kann die Gesundheitsversorgung, so wie wir sie kennen, nicht dauerhaft bestehen bleiben. Deshalb muss der regionalen Gesundheitsversorgung über die sektoralen Grenzen hinweg auch auf politischer Ebene eine größere Bedeutung bekommen.
Die Gesundheitspolitik sollte aus meiner Sicht nicht alles im Detail regeln, sondern ich wünsche mir vielmehr eine Politik der Ermöglichung, so wie z. B. mit dem GDNG ein Rahmen geschaffen wurde, in dem die Akteure die Details ausgestalten. Damit können wir insgesamt flexibler und schneller auf die uns bekannten und teilweise seit Jahrzenten bestehenden Herausforderungen reagieren.
Vielen Dank für das interessante Gespräch.
Über die Herausgeberin
Sind Sie auch ein Healthcare Change-Pionier?
Möchten Sie über eigene zukunftsgerichtete Ansätze der Gesundheitsversorgung berichten?
Ich freue mich über Ihre Kontaktaufnahme.
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